Circular Economy – Handbuch für Anwender*innen
Kreislaufwirtschaft in Unternehmen – das Handbuch zur Transformation
In ‚The Circular Economy – A User’s Guide‘ fasst der renommierte Circular-Economy-Experte Walter R. Stahel seine Thesen, Erkenntnisse und Praxiserfahrungen von über 40 Jahren in einem kompakten Handbuch zusammen. Am ‚User’s Guide‘ können sich Unternehmer*innen ebenso wie Akteur*innen in Politik, NGOs und Zivilgesellschaft bei der Transformation von der linearen zu zirkulären Ökonomie Anleihe nehmen. Man prüfe das eigene Verhalten – ob unternehmerisch, politisch oder privat – anhand von Stahels Wissen und Werkzeugen und ändere es in Richtung Zirkularität.
Das Buch erschien 2019 auf Englisch, 2023 auf Chinesisch. Es liegt bislang noch nicht auf Deutsch vor. Dame Ellen McArthur attestiert dem Werk, dass „jede Seite entweder etwas Lernenswertes oder eine Äußerung, die aufgenommen und geteilt werden wird, enthält“.
In der folgenden Zusammenschau lege ich den Fokus auf jene Ausführungen Walter Stahels, die sich mit den Möglichkeiten und Chancen für unternehmerisches Handeln befassen. Walter Stahel sieht in der Circular Economy einen kräftigen Innovationsmotor. Lassen Sie sich für Ihr Business inspirieren.
Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit – die Vision der sorgenden Ökonomie
Bereits 1976 entwickelte Stahel gemeinsam mit Geneviève Reday-Mulvey das Konzept der Kreislaufwirtschaft im Gegensatz zur ressourcenverschwendenden und abfallerzeugenden linearen Ökonomie. Es war eine Antwort auf ‚Die Grenzen des Wachstums‘ des Club of Rome 1972. Es hätte eine Lösung werden und den Ressourcenhunger der Welt stillen können. Doch damals blieb dem Konzept die gebührende Aufmerksamkeit versagt.
Ein weiteres Konzept mit dem Anspruch, nicht an die Grenzen des Wachstums zu stoßen ist das nachhaltige Wirtschaften. Nachhaltiges Wirtschaften und Kreislaufwirtschaft eint die Vision von der sorgenden, vorsorgenden, fürsorglichen Ökonomie (‚caring economy‘). Einer Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die ökonomische Anforderungen, soziale Bedürfnisse und die Notwendigkeiten der Natur als Lebensgrundlage der Menschen ausbalanziert, die für alle drei Säulen der Nachhaltigkeit Sorge walten lässt. Ökonomie und Ökologie gehen dabei deutlich sichtbar Hand in Hand. Denn das Verschwenden von natürlichen Ressourcen und das Verursachen von Abfällen sind als Verluste zu verbuchen.
Für Stahel fügen sich die Konzepte Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft auf natürliche Weise. Nachhaltigkeit repräsentiert die Welt der Qualität (Stahel nennt ‚glücklich sein‘), Circular Industrial Economy die Welt der Quantität (Stahel nennt ‚Kapital managen‘).
nachhaltig wirtschaften | kreislaufwirtschaften |
ökonomische Säule | Güterkapital, Finanzkapital |
ökologische Säule | Naturkapital |
gesellschaftliche Säule | Humankapital, Kulturkapital |
Kreislaufwirtschaft tilgt Ineffizienzen der linearen Ökonomie
Mit der linearen Ökonomie leisten wir uns Verluste an Naturwerten und an Geldwerten. Laut Stahel können Abfälle als Ausdruck ökonomischer Ineffizienz verstanden werden, die mit kreislaufwirtschaftlichen Konzepten und einer erweiterten Verantwortung seitens der Produzenten behoben werden muss.
Stahel nennt drei wesentliche Merkmale von Kreislaufwirtschaft – im Unterschied zur linearen Ökonomie:
- Kreislaufwirtschaft zielt auf den Erhalt des Wertes von Ressourcen sowie Produkten/Gütern/Objekten (nicht auf die Schaffung von Mehrwert).
- Kreislaufwirtschaft zielt auf die Optimierung des Ressourcen-/Gütermanagements (nicht auf die Optimierung der Ressourcen-/Güterströme).
- Kreislaufwirtschaft zielt auf Steigerung der Effizienz bei der Nutzung von Objekten/Gütern (nicht nur auf die Steigerung der Effizienz bei der Produktion von Objekten/Gütern)
Erweiterte Produzentenverantwortung meint die Verantwortung über die Qualitätssicherung hinaus zu einer Verantwortlichkeit für den Erhalt der Werte der Ressourcen im rohen oder verarbeiteten Zustand. Gestaltet werden kann dies
- aus unternehmerischem Antrieb oder
- im Wege von Direktiven – wie in der EU beispielsweise für das Recycling von Verpackungsabfällen.
In der linearen Ökonomie transferiert der Produzent mit dem Verkauf des Gutes die Verantwortung für den Erhalt des Materialwertes (oder eben dessen Nicht-Erhalt) an den Käufer. In einer Circular Economy hat der Produzent ein ökonomisches Interesse daran, die verarbeiteten Ressourcen in der eigenen Sphäre zu halten, weil er sie möglichst lange nutzen und daraus die Nutzendividende lukrieren will. Denn der Nutzenwert eines Produktes ist höher als die Summe der Materialwerte, aus denen es gemacht ist.
Kreislaufwirtschaft: Werte erhalten, Nutzendividenden lukrieren
Stahel differenziert zwischen Circular Society, Circular Economy, Circular Industrial Economy und ausgereifter Circular Industrial Economy.
Die Circular Society entspricht der Lebensform der frühen Menschheitsgeschichte und mancher indigener Gesellschaften heutzutage. Die Knappheit der Ressourcen macht kreislaufwirtschaftliches Handeln notwendig und selbstverständlich.
Die Circular Economy strebt danach, den ökonomischen Nutzen der Ressourcen zu maximieren. Der Begriff ‚ökonomischer Wert‘ ist in der Natur und der Circular Society inexistent.
Die Circular Industrial Economy strebt danach, den Wert der Güter und Objekte so lange wie möglich so hoch wie möglich zu halten. Wir schöpfen die Nutzendividende ab, ohne die Ressourcen zu verbrauchen. Verschiedene Akteure sind in den unterschiedlichen Produktlebensphasen verantwortlich. Produzenten produzieren, Käufer halten das Gut, das Objekt so lange im Bestand, als es Dienste leistet. Danach übernehmen abfallwirtschaftliche Akteure und sorgen für ReUse, ReCycling etc.. Circular Industrial Economy ist derzeit komplementär zur linearen Ökonomie.
In der ausgereiften Circular Industrial Economy sind alle Produktlebensphasen in einer einzigen Schleife, in der der Nutzenwert den Tauschwert als zentralen ökonomischen Wert abgelöst hat. Ein gesamthaftes Verantwortungsinteresse löst die zwischen produzierenden, nutzenden und abfallwirtschaftlichen Akteuren gesplittete Verantwortung ab, Produzenten sind im Kreislauf integriert. Ziel: den Wert der Güter/Ressourcen auf höchstmöglichem Niveau zu halten. Dies im Unterschied zum Supply-Chain-Management der linearen Ökonomie, das auf Minimierung der Produktionskosten abzielt.
Wohlstand wird als Summe der Qualität und Quantität aller Güter- und Ressourcenbestände gemessen. Wachstum ist demzufolge der Zuwachs an Qualität und Quantität, nicht ein Zuwachs an Materialdurchsatz. 2018 startete die Weltbankgruppe mit statistischen Messungen für nationalen Wohlstand in diesem Sinn.
Wenn alle Rohstoffe ‚im Kreis gehen‘, brauchen wir dann noch Produktionsbetriebe?
Die Industrie, das produzierende Gewerbe wird mitnichten obsolet. Stahel sieht die Produktionsbetriebe als Lieferanten innovativer Systemlösungen und Komponenten, die es möglich machen, dass
- Qualität und Wert von Gütern, Infrastruktur, Gebäuden möglichst lange möglichst hoch bleiben.
- die Nutzungsphase, zu der auch ReManufacture, ReUse, ReMarket etc. zählen, lang bleibt – ÄRA des ‚R‘.
- aus bestehenden Objekten durch DePolymerisation, DeVulkanisation, DeKonstrukton etc. Moleküle und Atome als saubere Rohstoffe für neue Objekte zurückgewonnen werden können – ÄRA des ‚D‘.
Die Ära des ‚R‘ ist jene des
- ReUse
- RePair
- ReMarket
- ReManufacture
- ReRefine
- ReProgramm
Sie bewahrt den Wert und die Nutzbarkeit der Güter. Stahel nennt als Beispiele unter anderen
- die Deutsche Bahn, die nicht mehr benötigte Objekte verkauft.
- IKEA, der gebrauchte Möbel zurückkauft, repariert und wieder verkauft.
- das alte Stadion in Barcelona, das für die Sommerolympiade 1992 generalsaniert wurde. Inklusive Umbau der Stierkampfarena zum Einkaufszentrum.
Die Ära des ‚D‘ bewahrt die Qualität der Moleküle und Atome durch
- DePolymerise
- DeAlloy
- DeLaminate
- DeVulcanise
- DeCoat
- DeConstrukt
In der Ära des ‚D‘ vollziehen wir einen Wandel im Umgang mit Gütern/Objekten, deren Nutzungsphase endgültig (nach dem Durchlaufen der einen oder anderen ‚R‘-Erscheinungsform) ausgelaufen ist und die gemeinhin als Abfall betrachtet und abfallwirtschaftlich behandelt wurden. Wir verabschieden uns von End-of-Life-Ansätzen und sehen unsere Aufgabe in der Erhaltung der Werte der kleinsten Teilchen der Güter, der Moleküle und Atome.
‚R‘- und ‚D‘-Ära sind ungeahnt weite Innovationsfelder für Unternehmerinnen und Unternehmen. Wir brauchen intelligente Sammellogistiken und vielfältigere Sortiertechnologien sowie spezifische Technologien zur Rückgewinnung der Rohstoffe in ihre molekulare oder atomare Daseinsform. Und wir brauchen neue Business-Modelle, die der Werterhaltung Rechnung tragen.
Performance Ökonomie – die profitabelste Strategie
Als nachhaltigste und profitabelste Strategie zur Realisierung von Circular Industrial Economy schätzt Stahel die Performance Ökonomie ein. In der Performance Ökonomie spielt der Faktor Zeit eine starke Rolle. Gehandelt wird mit Ergebnissen, Leistungen, nicht mit Objekten, Gütern. Die Unternehmen bleiben Eigentümer der Güter und tragen dafür Sorge, dass der Wert ihres Eigentums erhalten bleibt. Sie verkaufen die Nutzung ihrer Produkte als Serviceleistung über einen möglichst langen Zeitraum.
Dabei maximieren sie Profite, indem sie
- Effizienzen ausschöpfen
- Systemlösungen optimieren
- Rohstoffe in hinreichend hoher Qualität einsetzen, was sowohl Abfall als auch ökonomische Verluste vermeidet.
- die eigenen Rohstoffe wieder und wieder einsetzen und damit nicht auf den Zukauf neuer Rohstoffe – mit Implikationen wie Abhängigkeiten, weltweite (unsichere) Lieferketten, Verantwortungen für Lieferketten, etwaige Kinderarbeit im Herkunftsland, Zertifizierungen etc. – angewiesen sind.
- Suffizienzlösungen anbieten (z.B. effizient organisierte Car-Sharing-Modelle)
Darin sieht Stahel die unternehmerische Motivation, ein Business-Modell kreislaufwirtschaftlich aufzustellen. Außerdem hat die Performance Ökonomie das größte Nachhaltigkeitspotenzial UND bietet gesteigerte Freuden für zum Beispiel Modeafficionados und Autofreaks. Wer mag, leiht sich täglich ein neues Lieblingsstück, das in hoher Qualität daherkommt, weil der Mensch, der es verleiht, lange Zeit Einnahmen aus dem Verleih lukrieren will. `
In dem Zusammenhang zitiert Stahel Aristoteles (384 – 322 v. Chr.), der gesagt haben soll, dass wirklicher Reichtum im Nutzen, nicht im Besitzen von Dingen liege.
Monika Piber
Foto: Austria Recycling