Was braucht Circular Economy im Textilsektor – Das Interview
Textilrecycling: Potenzial für Österreich – eine Einschätzung der OETI-Expertin Helene Melnitzky
Wir sprachen mit Dipl-HTL-Ing. Helene Melnitzky. Sie leitet den Geschäftsbereich Ökologie, OEKO-TEX® Produkte bei OETI – Institut für Oekologie, Technik und Innovation GmbH. OETI, Mitbegründer des renommierten OEKO-TEX®-Siegels, prüft und zertifiziert Textilien aller Art hinsichtlich Funktionalität, Emissionen und Raumluftimpact. Es ist das einzige Institut dieser Art in Österreich. OETI betreibt internationale Niederlassungen und ist im Rahmen einer Prüfgemeinschaft von 18 Instituten in vielen Ländern tätig. Helene Melnitzky ist aufgrund ihrer langjährigen Prüf- und Leitungstätigkeit bei OETI eine profunde Kennerin der Textilproduktion vieler Länder sowie der globalen Lieferketten von textilen Produkten. Anfang März nahm sie sich für das Gespräch mit Austria Recycling Zeit. Vielen Dank!
Was sind ‚Textilien‘?
Austria Recycling: Die Staaten der EU wollen die Textilwirtschaft nachhaltiger gestalten. Was alles sind Textilien?
Helene Melnitzky: Zu den Textilien zählen wir alles, was aus pflanzlichen, tierischen oder synthetischen Fasern ist. Die Nutzung von Textilien reicht von Bekleidung, Heimtextilien, technischen Textilien bis Schaumstoffen und so weiter.
Teil der Nachhaltigkeitsstrategie für den Textilsektor ist die Anhebung von Recycling. Wer braucht Alttextilien? Abgesehen vom Second-Hand-Nutzen, der ja zur Wiederverwendung zählt.
Wir unterscheiden bei Alttextilien solche, die vor dem Konsum und solche, die nach Gebrauch anfallen. Textilabfälle aus Nähereien beispielsweise werden geschreddert und zu neuen Fäden gesponnen. Desgleichen Webereiabfälle. Diese werden zerfasert, gewaschen und versponnen. Zumeist handelt es sich dabei um Baumwollabfälle. Wir sprechen von mechanischem Recycling. Chemiefasern (Polyamid, Polyester) werden meist chemisch recycelt. Die recycelten Fasern werden verkauft.
Bei Alttextilien, die nach dem Gebrauch anfallen, ist es komplizierter.
Bleiben wir zunächst bei den Fäden, die aus Produktionsabfällen gewonnen werden. Gibt es dafür einen Markt?
Ja, es gibt Produktionsstätten, die recycelte Fasern einsetzen.
Wie funktioniert Textilrecycling?
Von den Post-Consumer-Alttextilien wird laut Umweltbundesamt ein sehr geringer Anteil wieder verwendet oder recycelt. Das sind meist Textilprodukte wie Kleidung und Haushaltswäsche aus den privaten Haushalten. Die Fachleute sprechen von sortenreinen Textilabfällen. Was macht das Recycling hier kompliziert?
Ein Teil dieser Textilien findet seinen Weg auf internationale Second-Hand-Märkte. Wiewohl das nicht bedeutet, dass diese Textilien auch wieder verwendet werden. Meist ist die Qualität so schlecht, dass man die Kleidung nicht mehr tragen kann. Dann wird sie vielleicht recycelt. Oft wird sie thermisch verwertet – was vielerorts ein Euphemismus für verbrennen ist. Die schlechte Textilqualität ist eine Folge der Fast-Fashion-Strömung. Je schlechter die Produktqualität, desto ungeeigneter für Wiederverwendung oder Recycling.
Das stoffliche Recyceln von Textilien ist ein enormer Aufwand.. Das Problem ist die Materialzusammensetzung, die oft bei Alttextilien nicht bekannt ist.Dazu kommen noch das Zubehör an Textilien wie Knöpfe oder Reißverschlüsse. Die eingenähten Etiketten, die die Zusammensetzung und die Waschanleitung anführen, sind oft nicht mehr lesbar oder gar nicht mehr da.
Wie geht man da vor?
Für diese Analyse braucht es Fachkräfte. Jede Hose, jedes T-Shirt, jedes Kleid, jeder Schuh, jedes Geschirr-, Hand-, Leintuch muss einzeln untersucht werden. Derzeit ist dies noch nicht in ausreichendem Umfang technisch möglich. Das ist ein großer Aufwand von geringer Wirtschaftlichkeit.
Was braucht es noch, damit Textilrecycling funktionieren kann?
Wenn Sie dann die Zusammensetzung kennen, geht die eigentliche Recyclingarbeit los. Und dafür gibt es noch wenig Expertise und ebenfalls keine großflächigen Technologien. Ein großes Problem sind die Fasermischungen. Besonders wenn Elasthan enthalten ist. Wie lösen wir die verwobenen und vernähten Materialkomponenten wieder voneinander?
Ein weiteres Problem sehe ich in der Dislozierung von Produktion und Konsum von Textilien. In Europa kaufen wir Textilien, von denen ein erheblicher Teil nicht in Europa hergestellt wurde. Es fehlt in der EU noch die Industrie, die einen Textilkreislauf sinnvoll möglich macht. Der geringe Anteil an Alttextilien, der in Österreich recycelt wird, endet zumeist als Putzfetzen.
Manche Modeketten – wir wollen hier keine Werbung machen – riefen Kleidersammlungen in den Filialen ins Leben. Wer alte Kleidungsstücke zurück bringt, erhält Einkaufsgutscheine und andere Belohnungen. Wie sehen Sie derartige Initiativen im Zusammenhang mit den Forderungen des Kreislaufwirtschaftspaketes?
Bestimmt unterstützen derartige Initiativen dabei, das Bewusstsein ein wenig zu ändern und zu einem sorgfältigeren Umgang mit Textilien zu animieren. Das halte ich für wichtig. Doch bei freiwilligen Initiativen fehlt die Möglichkeit des Monitoring. Wir können keine Bilanz für das Land Österreich erstellen. Eine solche werden wir aber brauchen, wenn Erfassungs- und Recyclingquoten zu erfüllen sind. Ohne die es meines Erachtens nicht gehen wird. Die Errichtung eines Sammelsystems macht noch keine Kreislaufwirtschaft.
Es gibt viel zu tun auf dem Weg zu einer textilen Kreislaufwirtschaft. Bleiben wir gedanklich in Österreich und dem Ziel, bis 2025 ein Alttextilsammelsystem zu etablieren. Worauf sollten wir uns konzentrieren?
Noch fehlen Definitionen für die Sammelfraktionen. Daran muss gearbeitet werden. Ich denke, was die Fraktionen anbelangt, sollten wir uns zunächst auf Bekleidung und Haushaltswäsche konzentrieren.
Weiters scheint es mir wichtig, in Österreich Analyse-, Recycling- und Verwertungstechnologie aufzubauen. Ein vielversprechender Ansatz in Österreich ist die Verarbeitung von Alttextilien aus Zellulose zu Lyocell. International gibt es einige Initiativen wie in Schweden Textilrecycling industriell durchzuführen. Da sollten wir Augen und Ohren offenhalten und ebenfalls forschen und experimentieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Potenziale für österreichische Unternehmen / Forschungseinrichtungen
Aus diesen Überlegungen ergeben sich Ansatzpunkte für Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die zur Gestaltung einer Kreislaufwirtschaft für Textilien beitragen können:
Was | Effekt | Initiator*innen / Beteiligte |
---|---|---|
Bewusster Einkauf | weniger Kleidungsstücke / Textilien | Konsument*innen |
Re-use (vor dem Sammelsystem – z.B. verkaufen, tauschen, reparieren | Textilien bleiben länger im Kreislauf | Konsument*innen, Systeme wie Willhaben, Carlas etc. |
Design von Mode | möglichst wenig Verbundstoffe, hochwertigere Materialien | Designer / F&E / bestehende Sammelsysteme |
Verschiedene Sammel-Möglichkeiten anbieten | es wird mehr gesammelt (Behälter, Packmee, Momox, H&M, C&A…) | Anbieter / Systeme |
Technolgie entwickeln zum Erkennen und Trennen unterschiedlicher Materialien (Sortierung) | Sortenreines Material | F&E / Systeme |
Technologie zur Trennung von Verbundmaterialien | Sortenreines Material | F&E / Systeme |
Technologie zur Wiedergewinnung von Fasern | weniger Primärmaterialien in der Produktion, weniger Abfälle | F&E / Systeme |
Unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten für Alttextilien / Fasern entwickeln | weniger Primärmaterialien in der Produktion, weniger Abfälle (recycling, upcycling, downcycling | F&E / Systeme |
*Systeme: Sammelsysteme, Organisationen…
Jede dieser Möglichkeiten hat – wie im Interview angesprochen – natürlich ihr ganz eigenes Set von Herausforderungen, Interessen der Beteiligten und Schwierigkeitsgrad, bietet jedoch auch großes Potenzial in Richtung echter Kreislaufwirtschaft.